Schrift  und  Intuition

Zunächst stellen wir allgemein die Frage:



Gibt es einen Zusammenhang zwischen Laut und Form?

Die Antwort ist eindeutig 'ja'

Es gibt einmal einen physikalischen Zusammenhang:  Schall erzeugt Muster auf einer Wasseroberfläche oder sandbestreuten Membran, bei elektrischer Sprachanzeige auch auf dem Bildschirm (x-Achse = Zeit, y-Achse = Frequenz). Gegenstände erzeugen typische Geräusche (zumindest beim Fallen). Die Tonhöhe ist von der Saitenlänge / Instrumentenlänge abhängig. Verschiedene Mundstellungen / Mundbewegungen erzeugen verschiedene Sprachlaute.

Es gibt auch einen 'logischen' Zusammenhang (strukturelle Ähnlichkeit):   Kurze Laute ähneln kurzen Linien, lange Laute ähneln langen Linien. Unterbrechungslaute (p, t, k) ähneln unterbrochenen Formen. Laute mit komplizierter Struktur ähneln komplizierten Formen. Einander ähnliche Laute passen zu einander ähnlichen Formen. Allgemein wird Systematik meist als richtig empfunden, da sich sozusagen 'alles auf einen Nenner' bringen läßt.

Es gibt auch einen intuitiv-psychologischen Zusammenhang:   z.B. werden dunkle Laute als massiver empfunden, s.u.   Es gibt auch die sogenannte Synästhesie ('gleichzeitige Wahrnehmung'), das Phänomen, daß manche Personen beim Hören eines Lautes Vorstellungen einer bestimmtem Form haben (oder von Farbe oder Geruch). Vermutlich ist das eine allen Menschen angeborene Fähigkeit, die bereits im frühen Kindesalter verdrängt wird (ins Unterbewußte abgedrängt).
Die menschliche Intuition bzgl. Schall-Form-Zusammenhang beruht wohl teils auf den physikalischen und biomechanischen Gegebenheiten der Schallerzeugung und -ausbreitung, die unterbewußt präsent sind, teils der Logik der Ähnlichkeiten, sowie vielleicht tiefergehenden feinstofflichen Gesetzmäßigkeiten und deren unterbewußter Kenntnis bzw. Wahrnehmung.
Es gibt auch die intuitive Meinung, daß ein bestimmtes (akustisches) Wort zu einem Begriff paßt oder nicht. Das könnte teilweise auf dem Zusammenhang Laut-Form beruhen, zum Teil auch auf anderen, unbekannten Eigenheiten der Psyche.

Mehr dazu im Artikel Sprache und Psyche, Abschnitt Sprache und Form und folgende, und im Artikel Zeichenbildung bei Lautbildschriften, erste 2 Abschnitte 'Zeichenbildung analog zum Sprachschall' und 'Zeichenbildung analog zu den Sprechorganen und -bewegungen'




Obige 3 Zusammenhänge kann man als naturgegebenen Zusammenhang zwischen Laut und Form bezeichnen.

Schon Platon läßt in seinem Buch "Kratylos oder über die Richtigkeit der Worte" den Sokrates die Ansicht vertreten, es gebe eine 'natürliche Richtigkeit' der Worte. Z.B. repräsentiere Alpha das 'Ganze, Lange' und Epsilon das 'Ebene, Gedehnte'. Aus den meisten Textstellen im Artikel Zitate antiker Autoren zur Lautbildschrift geht hervor, daß mit 'natürlicher Richtigkeit' der Worte deren Bildung mit einer Lautbildschrift gemeint ist. Inwieweit diese Lautbildschrift naturgegeben (physikalisch, logisch, intuiitiv) richtig war, ist unklar. Platon hat in seinen Schriften viele Bildchen mit der antiken Standard-Lautbildschrift eincodiert, doch kannte er vielleicht noch andere, intuitiv bessere Lautbildschriften.




Welche Form symbolisiert einen bestimmten Sprachlaut am besten?

Schwer zu sagen.
Es ist nicht einmal sicher, ob obige 3 Zusammenhänge (physikalisch, logisch, intuitiv) beim selben Laut immer auf dieselbe Form deuten. Zwar gibt es einen Zusammenhang zwischen 'Logik' und Physik: Ein kurzer Laut erzeugt ein kurzes Diagramm der elektrischen Sprachanzeige, ein unterbrochener Laut ein unterbrochenes, ein komplizierter Laut ein kompliziertes Diagramm.

Andererseits erzeugen schon verschiedene physikalische Vorrichtungen (z.B. Membranen verschiedener Größe, unterschiedlich befestigt) verschiedene, meist komplizierte Muster. Auch wenn man z.B. die Größe oder Strichlänge eines Vokalzeichens aus der Physik (im weitesten Sinne) ableiten will, ergeben die Breite der Mundöffnung, Saitenlänge (wegen durchschnittlicher Tonhöhe) und Frequenz-Spannweite unterschiedliche Hinweise: z.B. ist bei 'a' die Mundöffnung am breitesten, bei 'i' die Tonhöhe und der Frequenzbereich maximal.
Auch die menschliche Intuition ist hier verschieden und unscharf. Es gibt zwar allgemeine Regeln, z.B. assoziiert man dunkle Laute eher mit großen, massiven Formen, helle Laute eher mit kleinen, filigranen. Auch scheint z.B. der Laut K besser zu einem 'harten', eckigen Buchstaben zu passen, der Laut L besser zu einem 'elastischen', gebogenen. Aber die Details sind unklar.

Auch wenn es eine Form gibt, die optimal zu jedem Sprachlaut paßt, ist sie vielleicht nicht als Buchstabe tauglich (zu nebulos, zerfranst, kompliziert). Für die intuitive Bewertung von Schriften beschränken wir uns deshalb auf folgende Frage:




Welche als Buchstabe geeignete Form symbolisiert diesen Sprachlaut am besten?

Zur Beantwortung müßte man die optimale Form kennen und dann die ähnlichste einfache, klar umrissene Form bestimmen. Zur Verwendung als Lautbildschrift-Buchstabe müßte man noch einen Schritt weiter gehen und die ähnlichste Form auswählen, die zur Bildung von Ideogrammen taugt.

Weil auch diese Frage noch sehr schwierig ist, gehen wir vom bereits vorhandenen, praxistauglichen Zeichensatz einer Schrift aus und beschränken uns auf folgende Frage:




Welcher Buchstabe eines gegebenen Alphabets symbolisiert diesen Sprachlaut am besten?

Die Sprachlaute haben wir nach phonetischen Gesichtspunkten wie Sprechbarkeit und Wohlklang ausgewählt, die Buchstaben nach ihrer Brauchbarkeit (Schreibbarkeit, Lesbarkeit, bei einer Lautbildschrift auch die Eignung zur Bildung von guten Ideogrammen).

Je nach gewähltem Zeichensatz und Lautvorrat kann die optimale Zuordnung in verschiedenen Schriften, auch Lautbildschriften, mehr oder weniger intuitiv, logisch und physikalisch richtig erscheinen. Wie intuitiv richtig ist z.B. die Lateinschrift, die Einfach-Lautbildschrift oder die antike Lautbildschrift ?   ... Siehe den Artikel Bewertung einiger Schriften nach intuitiver Richtigkeit ...




Welches geschriebene Wort symbolisiert eine Kombination von Sprachlauten am besten?

'Physikalisch' richtige, aus einem Membranmuster abgeleitete Buchstaben können, linear aneinandergereiht, ein optisches Muster ergeben, das nicht mehr mit dem Membranmuster des Wortes übereinstimmt, weil sich die Sprachlaute nicht linear, sondern räumlich überlagern.
Ähnlich beim menschlichen Instinkt: Auch wenn einzelne Buchstaben instinktiv richtig sind, können Kombinationen daraus doch instinktiv falsch erscheinen: So können Zischlaute durch einen oder mehr gerade Striche repräsentiert werden, die wie diese Laute irgendwie 'zischend' wirken. Doch aus solchen senkrechten und waagrechten Strichen kann man z.B. ein Quadrat zusammensetzen, das nicht mehr zischend wirkt, sondern eckig, schwer und statisch.

Bei einer künstlichen Sprache, die nicht auf einer Lautbildschrift beruht, und bei der die Worte auch nicht nach einem Begriff-System gebildet werden, hat man die Freiheit, jedes Wort lautlich 'richtig' zu benennen. Bei einer Lautbildschrift hat man zunächst die Wahl der speziellen Lautbildschrift (Zeichen und Laute und ihre Zuordnung zueinander). Ist diese gewählt, dann gibt es für einen Begriff meist noch mehrere gute Bildworte, von denen man das lautlich intuitiv passendste wählen kann.



Spezielle Zeichenfolgen

Außer der Frage der (physikalischen, logischen, intuitiven) Richtigkeit von geschriebenen Worten stellt sich auch die Frage der Richtigkeit von geschriebenen prototypischen Lautfolgen, z.B. lautlich geordneten ABC-Folgen. Diese sollten den Klangcharakter optisch wiedergeben. Wenn z.B. natürlich nach Tonhöhe geordnete Vokalfolgen wie ieao oder oaei, mit einem bestimmten Alphabet geschrieben, optisch gebrochen oder sonstwie merkwürdig wirken, ist wohl das Alphabet intuitiv unrichtig.



Zusammenhang zwischen Laut und Farbe

Wie anfangs erwähnt, ergibt Synästhesie bei manchen Personen einen intuitiven Zusammenhang auch zwischen Laut und Farbe, der allerdings je nach Person unterschiedlich, also subjektiv ist.
Objektiver lassen sich Schallfrequenzen in Lichtfrequenzen umsetzen. Hierzu muß man das menschliche Hörspektrum (ca. 16 - 16000 HZ) in das für Menschen sichtbare Lichtspektrum (375*1012 - 750*1012 Hz) übersetzen, d.h. erhöhen und spreizen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Laut und Farbe ist damit aber nicht gegeben.

Gibt es eine natürlicherweise richtige oder beste Schriftfarbe?
Für kleine und dünne Schrift ist der maximale Schwarzweiß-Kontrast vorzuziehen, wegen bester Lesbarkeit. Für dickere Schrift wäre auch ein Grauton denkbar. Eine bunte Farbe wäre zumindest bei Lautbildschriften eher irreführend, da sie die meisten Dinge in falscher Farbe darstellt. Lautbild-Sätze in Schwarz oder Grau wirken farblich neutraler (bei Szenen von Nacht und Dämmerung wären sie sogar farblich richtig). Dagegen wäre es denkbar, bei Lautbildschrift-Texten für spezielle Zwecke (z.B. Kindertexte oder schöne Darstellung im Computer) konkrete (vielleicht auch abstrakte) Dinge in ihrer (einmal abzuspeichernden) natürlichen Farbe darzustellen, oder nur die Dinge, die im Text als farbig genannt werden, in dieser Farbe darzustellen (und die Farbbezeichnung im Text auszublenden). Siehe auch Lautbildschrift: 3-dimensionale Modelle, Abschnitt 'Verfeinerte Darstellung'.



Fazit

Buchstaben und Worte möglichst naturgegeben richtig zu entwerfen, scheint auf jeden Fall erstrebenswert. Es scheint aber auch sehr schwierig zu sein. Wenn die oben erwähnten Kriterien (physikalisch, logisch-strukturell, intuitiv), soweit sie verwertbare Hinweise zur Gestaltung geben, in verschiedene Richtungen deuten, gibt es verschiedene Strategien zu ihrer Verwertung:

- Man formt alle Buchstaben nur nach einem Kriterium, z.B. dem erzeugten Membranmuster
- Man formt Buchstaben gruppenweise (z.B. alle Vokale) nach dem verwertbarsten Kriterium
- Man formt jeden Buchstaben individuell nach dem deutlichsten oder verwerbarsten Kriterium

Dabei ist auch zu berücksichtigen, wie naturgegeben richtig dann die Worte werden (können).

Insgesamt ist ein Optimum von Brauchbarkeit, Richtigkeit und auch Schönheit anzustreben.



Natürliche Grammatik

Die Frage, inwieweit eine Grammtik intuitiv richtig sein kann, wird im Artikel Entwurfsprinzipien für eine Grammatik, Abschnitt "Natürlichkeit" behandelt.



Stand:  25. 1. 2012