Entwurfsprinzipien für eine Grammatik
Für die Grammatik einer künstlichen Sprache
sind folgende Entwurfsprinzipien sinnvoll
(die auch allgemein für künstliche Sprachen und andere Bereiche gelten):
Zweckmäßigkeit leichte Lernbarkeit / Anwendbarkeit Schönheit
Hier die Anforderungen an eine Grammatik im Detail:
Leistungsfähigkeit
Die Grammatik soll es erlauben, jeden gewünschten Sachverhalt
- überhaupt auszudrücken
- kurz und einfach auszudrücken (ohne komplexe Formulierungen)
Einfachheit
- erleichtert das Lernen
- erleichtert den Gebrauch
Auch wenn man eine Grammatik bereits im Schlaf beherrscht,
ist es nicht egal, ob sie einfach oder kompliziert ist.
Eine einfache Grammatik ermöglicht es, mit geringerem Verbrauch
von geistiger Energie und Kalorien Sachverhalte zu formulieren.
Ein Vergleich: Bei einem Test fuhren Leute Autos mit Gangschaltung
und mit Automatik. Per Sauerstoffmaske wurde der Sauerstoff-
und damit der Kalorienverbrauch gemessen. Die Leute, die Autos
mit Gangschaltung fuhren, verbrauchten mehr Sauerstoff, hatten
aber subjektiv kein größeres Gefühl der Anstrengung.
Zur Einfachheit tragen bei:
- Regelmäßigkeit (s.u.)
- modularer Aufbau (s.u.)
- Benutzen der Wortstellung im Satz
- geringe Zahl Grammatikworte
- geringe Zahl Regeln
- Eingängigkeit der Regeln
Man muß unterscheiden zwischen:
- Einfachheit der Regeln
- Einfachheit des formulierten Satzes
Zu wenige Regeln, zu wenige abkürzende Grammatikworte zwingen dazu, Sachverhalte umständlich zu formulieren.
Andererseits gilt: Spezielle Formulierungen für seltene Wortbeziehungen verkomplizieren eine Grammatik meist unnötig.
Sinnvoll ist auch die Forderung, die im Lauf der Entwicklung von Programmiersprachen formuliert wurde:
"Der einfache Fall soll nicht für den komplizierten Fall bezahlen".
Generell empfiehlt sich für eine Grammatik das auch anderswo nützliche Prinzip:
"So einfach wie möglich, so kompliziert wie nötig", "Die einfachste ausreichende Lösung"
Schriftsprache ist oft umständlicher formuliert als gesprochene Sprache, aus 2 Gründen:
- man hat mehr Zeit zum Überlegen
- man sieht einen ganzen Satz gleichzeitig, parallel
Letzteres macht das Erkennen komplizierter Strukturen leichter
(vgl. die gesprochene und geschriebene Version eines mehrfach geklammerten mathematischen Ausdrucks).
Schriftsprache ist aber meist aus den gleichen Grammatikelementen und Worten aufgebaut wie die Umgangssprache.
Schriftsprache und gesprochene Sprache sollten möglichst ähnlich sein, damit ein Mensch nicht sozusagen
unterschwellig zwischen 2 verschiedenen Dialekten wechseln muß, was einen Verbrauch geistiger Energie bedeutet.
Regelmäßigkeit
Trägt zur Einfachheit bei und damit zu all ihren Vorteilen wie
leichte Erlernbarkeit und leichter Gebrauch. Außerdem ermöglicht
es eine regelmäßige Grammatik, auch ungewohnte Sachverhalte und
Begriffskombinationen auszudrücken, was besonders nützlich ist
bei sich laufend ändernden Verhältnissen wie heutzutage,
allgemein in Forschung, Wissenschaft, Philosophie.
Bausteinprinzip (modularer Aufbau)
Alle Formulierungen (Wortgruppen, Teilsätze) sollen unverändert
in größeren Spracheinheiten (z.B. Sätzen) verwendbar sein (Transportierbarkeit)
Beispiel 1: Im Deutschen kann man aus den Worten "Baum, groß, drei" den Begriff
"drei große Bäume" zusammensetzen. Dabei werden die meisten Worte verändert.
Einfacher wäre die Formulierung "Baum groß drei"
Beispiel 2: Der deutsche Satz "Er geht nach Hause"
kann Teil eines größeren Satzes
werden:
"Wenn Er nach Hause geht, ...". Dabei werden seine Worte umgestellt.
Einfacher wäre die Formulierung "Wenn Er geht nach Hause, ..."
Extrahierbarkeit
Wenn die Funktion aller Satzteile durch vorgestellte Grammatikworte (Subjektmarkierer, Objektmarkierer, Prädikatsmarkierer etc.)
verdeutlicht wird, kann man einfach alle lexikalischen Wörter streichen und hat dann das grammatische Grundgerüst eines Satzes.
Das funktioniert auch noch, wenn die Funktion eines Satzteils durch seine Position im Satz bestimmt ist,
wenn nur der Satzteil mit irgendeinem Grammatikwort beginnt (Artikel, Mengenbegriff vor Subjekt, Objekt).
Beispiel: Streicht man im Satz 'Ein Mensch tut sehen ein Vogel' alle lexikalischen Worte, bleibt das Grundgerüst
'ein - tut - ein' übrig, das die Grundstruktur des Satzes, nämlich 'Subjekt - Prädikat - Objekt' repräsentiert
('tut' dient hier als Prädikatsmarkierer).
Eine solche Grammatik kann man mit den (lexikalischen ) Wörtern seiner Muttersprache üben!
Bei einer solchen Grammatik sind aber zumindest einfache Sätze länger als z.B. bei einer Grammatik
ohne Artikel und mit Benutzen der Wortstellung: 'Mensch sehen Vogel' ist an Kürze nicht zu überbieten,
aber wenn man alle lexikalischen Worte streicht, bleibt nichts übrig.
Natürlichkeit
Das ist ein verwaschener Begriff, der stark mit dem Begriff 'Eingängigkeit' zusammenhängt.
Fast alle in diesem Artikel gestellten Forderungen tragen dazu bei,
eine Grammatik natürlich erscheinen zu lassen, besonders Einfachheit, Regelmäßigkeit, Modularität
(insbesondere keine Wortveränderung, d.h. keine Deklination, keine Konjugation),
schnelle Erkennbarkeit, Benutzen der Wortstellung statt funktionsanzeigender Partikel,
sowie "logische = verbale Nachbarschaft" und "räumliche = verbale Nachbarschaft" (abbildende Wortstellung).
Obige Forderungen könnte man zusammenfassen: Eine Grammatik wirkt um so natürlicher, je weniger sie in Erscheinung tritt
Natürlich ist z.B. die abbildende, optische Grammatik der
Lautbildschrift,
(die aber auch nicht ganz ohne Regeln und Partikel auskommt).
Auch die in vielen Sprachen übliche Stellung Subjekt-Verb-Objekt könnte man als
abbildende Wortstellung ansehen, da die Interaktion real und verbal
zwischen Subjekt und Objekt ist.
Begriffe wie Subjekt und Objekt sind dem Menschen aber nicht unbedingt
angeboren, sondern teilweise an bestimmten Grammatiken orientiert.
(Ein Subjekt z.B. ist keineswegs immer der / das Handelnde,
betrachte den Satz 'Das Haus ist groß'). Schüler müssen sie
mühsam erlernen. Eine Grammatik, die sich auf diese Begriffe
stützt, ist deshalb nicht ganz natürlich.
Wir grenzen die Begriffe Leistungsfähigkeit, Einfachheit,
Regelmäßigkeit, Natürlichkeit an einem Beispiel gegeneinander ab:
den Zahlensystemen zur Basis 2, 4, 10
Alle 3 Zahlensysteme sind gleich leistungsfähig: Jede Zahl
läßt sich damit darstellen, jede Rechnung durchführen.
Alle 3 Zahlensysteme sind völlig regelmäßig.
Das Zweiersystem ist das einfachste: es hat nur 2 Ziffern,
Multiplikation und Division sind besonders einfach.
Das Vierersystem
ist m.E. das natürlichste für den Menschen:
die Zahlen werden nicht unpraktikabel lang (wie beim Zweiersystem),
das Einmaleins ist klein und schnell erlernbar (anders im Dezimalsystem),
Strichziffern sind praktikabel, und eine Unterteilung
von Dingen in Vierergruppen ist handlich und leicht merkbar.
Die Grammatiken fast aller historischen und heutigen Sprachen sind zwar unnatürlich kompliziert,
aber trotzdem an der Natur orientiert. Typischerweise gilt nämlich:
Substantiv = körperliches Objekt (Gegenstand, Pflanze, Tier, Mensch)
Adjektiv = Eigenschaft eines körperlichen Objekts (Farbe, Oberflächenstruktur, Größe)
Verb = Bewegung eines körperlichen Objekts
Präposit. = Lagebeziehung von 2 körperlichen Objekten (Lage, Ausrichtung)
Satzbeispiel: "Der blaue Vogel fliegt über den grünen Baum"
Wenn man ein Sandkastenmodell eines Satzes bilden will, gibt also der grammatische Typ eines Wortes
gerade das zu verwendende Mittel an: Substantiv = Figur (Vogel, Baum), Adjektiv = auf Figur aufzutragende Farbe (blau, grün),
Präposition = räumliche Position (über), Verb = Bewegung (fliegt - darstellbar durch Anschubsen des an einer Schnur aufgehängten
oder auf einen federnden Stab gesetzten Vogels).
Auch Substantive wie "Regen", "Sonnenschein", "Freude" lassen sich durch körperliche Gebilde modellieren:
Regen durch (echte oder aufgemalte)Tropfen auf einer senkrechten Glasscheibe oder durch Glasperlen
an einem Bündel Schnüren, Sonnenstrahlen durch Messingdrähte, Freude durch ein mosaikartig-abstraktes,
auf eine Glasscheibe oder besser einen leicht bewegten Schleier aufgemaltes flirrend-impressionistisches, frohes Gesicht.
Eigenschaften von Objekten lassen sich auch darstellen durch angebrachte Etiketten, Fähnchen o.Ä.
Manche Präpositionen (Herkunft oder Assozation) lassen sich statt durch die Lage von 2 Objekten
relativ zueinander besser darstellen durch lockere Verbindungsschnüre, deren Eigenschaften
(Farbe, Struktur, Etikett) den Typ der Verbindung angibt. Die Richtung der Verbindung
(ob "Haus des Menschen" oder "Mensch vom Haus") läßt sich symbolisieren durch Richtungspfeil
oder besser Lage im Vordergrund (bestimmtes Objekt) und Hintergrund (bestimmendes Objekt).
Auch eine Verbindungsschnur mit Sockel an einem Ende, auf den das bestimmende Objekt
gesetzt wird, kann eine Präposition darstellen, die Art des Sockels die Art der Beziehung.
Ein Sandkastenmodell, Papiermodell oder Computerbild eines Satzes läßt sich leicht auf dem Weg über die Lautbildschrift gewinnen,
wie im Artikel Lautbildschrift: 3-dimensionale Modelle gezeigt wird.
Die Lautbildschrift ist nämlich eine Zwischenstufe zwischen dem
hohen Abstraktionsgrad eines gesprochenen Satzes / einer logisch abstrakten Grammatik und dem
niedrigen Abstraktionsgrad eines Sandkastenmodells.
Es ist deshalb sinnvoll, die Grammatikpartikel und Grammatikregeln der Lautbildschrift so
zu entwerfen, daß ein Bildsatz relativ unverändert in ein Sandkastenmodell überführt werden kann.
Benutzen der Wortstellung
Es ist kürzer und viel ergonomischer, eine Standardreihenfolge der Hauptelemente eines Satzes einzuhalten
(z.B. Subjekt - Prädikat - Objekt), als die Wörter beliebig zu verwürfeln und ihre Funktion
durch Grammatikworte (oder Wortendungen) zu verdeutlichen. Das zeigen die Schwierigkeiten,
die viele Schüler beim Übersetzen eines lateinischen Textes haben, wo die Worte manchmal
völlig durcheinandergewürfelt sind und man erst mühsam ihre Funktion erkennen muß.
Das Umgangs-Latein war einfacher, aus eben diesem Grund.
Es ist jedoch gelegentlich ein Vorteil, Partikel für Subjekt, Objekt, Prädikat zu haben.
Nämlich wenn einer dieser Satzteile besonders lang und umständlich ist und deshalb ans Satzende
platziert werden soll, oder wenn er zur Betonung am Satzanfang stehen soll.
Auch bei Gedichten ist man mit solchen Partikeln flexibler
Logische und physische Nachbarschaft
Logisch zusammengehörige Begriffe sollten sich auch im Satz möglichst nahe sein.
(Gegenbeispiel: in der lateinischen Schriftsprache konnte z.B. ein Substantiv
am Satzanfang stehen, ein zugehöriges Adjektiv am Satzende, die Zusammengehörigkeit
wurde durch die Wortendung ausgedrückt).
Damit realisiert man ein natürliches
Prinzip auch in der Sprache: daß 2 benachbarte Dinge wahrscheinlicher miteinander
etwas zu tun haben als 2 entfernte (Baum - darunterliegende Früchte; Pflanze wird
vom Boden direkt darunter beeinflußt; beieinanderstehende Menschen interagieren eher als entfernt Stehende)
Obiges Prinzip kollidiert u.U. mit anderen Prinzipien:
Nach dem Prinzip der Nachbarschaft wäre es sinvoll, Attribute um das Bezugswort
herum zu gruppieren, z.B. Mengenbegriffe davor, Adjektive dahinter.
Doch wirkt es natürlicher und logisch einfacher, zuerst das Bezugswort
zu nennen und dann alle Attribute aufzuführen.
Der Satzsinn ist dann auch schneller
erkennbar, da das Bezugswort meist am wichtigsten ist (s.u.)
Einseitige Schachtelung
Ein Vergleich mit der Mathematik: Der Klammerausdruck ((a + b) * (c + d )) ist geschrieben leicht erfaßbar, gesprochen weniger. Deshalb vermeiden alle Sprachen wenn möglich solche komplizierten Klammerungen, die viele Partikel und Denkarbeit erfordern. Stattdessen wird meist folgende Art der Schachtelung angewendet:
Der Mensch A, hat mir das erzählt. der den B kennt, der vom C gehört hat, daß .....,
Es handelt sich also um ein Schachtelung, die zwar stufenweise tiefer geht, aber dann plötzlich zur Hauptebene
des Satzes zurückkehrt. Sie braucht also nur 1 schließende Klammer. Es gilt automatisch: jede neue
Schachtelungsebene (jedes Relativpronomen) beendet automatisch die vorige (falls diese nicht die oberste Ebene ist).
Stilistik
Was beim Lautsystem die Satzmelodie, das ist in der Grammatik
die Stilistik. Beide vertragen etwas mehr individuelle Variation
als z.B. die Wortaussprache oder feste grammatische Konstruktionen.
Beiden wird beim Entwurf einer künstlichen Sprache meist zu wenig
(oft keine) Aufmerksamkeit gewidmet. Unbewußt stellt sich der
Spracherfinder wohl vor, daß beide so sein sollten wie in seiner
Muttersprache. Deshalb, und wegen seines Umfangs, wird das Problem
nicht durchdacht. Denn gerade die Stilistik ist ein umfangreiches
Feld, bei normalen Sprachen und Lautbildsprachen. Bei letzteren
sind - entsprechend ihrem abbildenden Charakter - Grammatik und
Stilistik an der optischen Darstellung orientiert (aber auch an
abstrakteren Beziehungen wie Subjekt - Verb - Objekt etc.)
Schnelle Erkennbarkeit
Für die schnelle Erkennbarkeit beim Hören, auch beim schnellen / überfliegenden Lesen
sind meines Erachtens 2 Dinge wichtig (welche auch die automatische Textverarbeitung schneller machen,
siehe Hauptartikel):
Gleichbleibende Formen:
Worte ohne veränderliche Endung sind (zumindest für Anfänger) schneller erfaßbar.
Gleichbleibende Satzstellung (Subjekt - Prädikat -Objekt) läßt den Sinn eines Satzes schneller erkennen.
Das Wichtigste zuerst: (außer wenn die Spannung erhöht werden soll)
Betrachten wir die einzelnen Worte der Wortgruppe 'Mensch groß zwei'
(soll bedeuten 'zwei große Menschen').
Ein Hörer kann sich beim Wort 'Mensch' am meisten vorstellen.
Es ist deshalb günstig, die Wortgruppe damit anfangen zu lassen,
Dann kann sich ein Hörer schon beim ersten Wort, nämlich 'Mensch',
etwas vorstellen. Begänne die Wortgruppe mit 'zwei groß',
so wäre er relativ ratlos.
Ähnliches gilt für das Grundgerüst eines Satzes:
Der Satz "Vogel klein aufsuchen schnell Baum groß" hat das
grammatische Grundgerüst "Vogel aufsuchen Baum". Diese Wortauswahl
ergibt für den Hörer auch isoliert einen Sinn, nicht aber die gleichlange
Wortauswahl "klein schnell groß", die weder eine grammatische Struktur
besitzt noch den Satzsinn erkennen läßt. Auch deshalb ist es
sinnvoll, Wortgruppen des Typs 'Nomen + Adjektive' mit dem Nomen
beginnen zu lassen, dann ist das grammatische Grundgerüst
eines Satzes am schnellsten vollendet (nach dem letzten Nomen).
Erkennbarkeit nach Verstümmelung
Menschliche Kommunikation verläuft selten ungestört, was aber oft
nicht bemerkt wird, weil Hörfehler meist unbewußt korrigiert werden.
Ähnlich könnte man die Forderung stellen, daß die grammatische Struktur eines Satzes noch erkennbar ist,
wenn z.B. ein Grammatikwort nicht richtig verstanden ist (Verstümmelungsresistenz).
Hier ist eine nichtmodulare Struktur (s.o., auch Abschnitt 'Fälschungssicherheit') u.U. günstiger:
ein Nebensatz (mit gegenüber einem Hauptsatz anderer Wortstellung) kann nie für einen Hauptsatz gehalten werden,
auch wenn z.B. die vorgestellte Konjunktion überhört oder durch Geräusche verdeckt wird, oder bei Datenübertragung gelöscht.
Auch ist ein Satz mit Standardreihenfolge der Satzteile, z.B. Subjekt - Prädikat - Objekt,
nach Verstümmelung besser erkennbar, als wenn die Satzteile, durch Partikel markiert, eine beliebige Reihenfolge haben dürfen.
Fälschungssicherheit?
Beispiel: Im deutschen Satz: "Falls morgen die Sonne scheint,
geht die Klasse wandern" kann man keine Teilsätze herauslösen,
die nicht als solche erkennbar bleiben.
Wird obiger Satz modular aufgebaut, also "Falls morgen scheint
die Sonne, dann die Klasse geht wandern", so kann man
die Teilsätze "morgen scheint die Sonne" und "die Klasse geht wandern"
aus dem Satz zitieren, ohne daß sie als Teilsätze erkennbar sind.
Ein modularer Aufbau von Sätzen erleichtert es also, mit
zitierten Teilsätzen einen falschen Eindruck erwecken
(er hat behauptet "morgen scheint die Sonne").
Als Gegenmaßnahme könnte man zur Regel machen, Teilsätze nur
mit der davorstehenden Konjunktion zu zitieren.
Aber sinnentstellende Zitate lassen sich nie ganz verhindern
und sind auch bei nichtmodularem Aufbau möglich, durch aus
dem Zusammenhang gerissene ganze Sätze.
Die Vorteile des modularen Aufbaus in der Grammatik (und anderswo)
sind so groß, daß man nicht darauf verzichten sollte.
Eindeutigkeit
Für Computer ist es oft schwierig, den Sinn eines Satzes zu erkennen.
Denn in natürlichen Sprachen gibt es mehrdeutige Formulierungen.
(Auch das Problem, daß manche Worte mehrere Bedeutungen haben,
erschwert das Verständnis, betrifft aber den Wortschatz, nicht die Grammatik).
Menschen können aufgrund ihres umfangreichen Wissens über die Welt und ihre Zusammenhänge
den Satzsinn trotzdem erkennen (meist ist nur 1 Interpretation sinnvoll), Computer nicht.
Wie aber die Molekül-Grammatik beweist,
kann schon eine einfache Grammatik die Beziehungen der Worte im Satz eindeutig formulieren.
Auch bei satzübergreifenden Beziehungen ist das teilweise möglich, indem man z.B. Partikel definiert,
die sich auf das Subjekt / Prädikat / Objekt des vorigen Satzes beziehen.
(Diese Partikel sollten ähnlich klingen wie die als Subjektsmarkierer, Prädikatsmarkierer, Objektsmarkierer
dienenden Partikel, falls solche existieren).
Alle Beziehungen zwischen Sätzen eindeutig zu definieren, wäre aber sicher schwierig,
bzw. eine solche Grammatik würde dem Sprecher zu große Disziplin auferlegen, die freie Rede behindern).
Eine innerhalb des Satzes eindeutige Grammatik ermöglicht es auch einem Computer, den Satzsinn sicher zu erkennen.
So kann er z.B. auf gesprochene komplexe Anweisungen reagieren.
Auch längere Texte kann der Computer besser verstehen, wenn zumindest die Struktur
jedes Satzes völlig klar ist.
Eine eindeutige Grammatik eignet sich auch für Programmiersprachen und die mathematische Fachsprache.
Sie verringert also den Abstand zwischen Umgangssprache und Fachsprachen, was ein großer ergonomischer Vorteil ist.
2-Stufen-Grammatik
Eine Grammatik kann 2-stufig entworfen werden:
- Stufe 1 umfaßt alle grundlegenden Regeln und Partikel, die es ermöglichen, alles auszudrücken
- Stufe 2 enthält abkürzende Partikel und Regeln, z.B.:
Zusammenziehung von Artikel + Mehrzahlwort, Zusammenziehung von Demonstrativpronomen + Mehrzahlwort,
Zusammenziehung von Allzweckpräposition + Folgewort(en) zu 1 Präposition
(ital. "a causa di" = "perche", "aus Grund von" = "weil"), Zusamenziehung von Präposition + Folgeworten zu 1 Partikel
("an welchem Ort" = "wo", "an diesem Ort" = "hier" bzw. "da"), Zusammenziehung mehrerer aufeinanderfolgender
Strukturpartikel zu 1 Partikel.
Es gibt sogar Partikel, die einen ganzen Satz repräsentieren: "ja" = "es ist so".
Umgangssprachlich "hä" = "Was bitte haben Sie gesagt?".
(Manchmal können auch normale Worte als Abkürzung für einen Satz dienen:
"schau" = "schau dir das an", "wo" = "wo spielt(e) sich das ab", "schlecht" = "das ist schlecht")
Stufe 2 ermöglicht kürzere und elegantere Formulierungen, bedeutet aber zusätzlichen Lernaufwand
und eine Abkehr vom Ideal der extrem einfachen, superklaren, durch und durch logischen und modularen Grammatik.
Beispiel, daß es auch ohne Wortzusammenziehungen geht: polynesisch "vahine" = "Frau", "o" = bestimmter Artikel, "le" = "mehrere".
Daraus ergibt sich: "o vahine" = "die Frau", "o le vahine" = "die Frauen"
Einfache formale Analyse
Es ist vorteilhaft (für Menschen und Computer), wenn die Analyse eines Satzes nicht nur formal eindeutig, sondern auch einfach ist.
Am einfachsten ist wohl ein Satz zu analysieren, der in einer extrahierbaren Grammatik (s.o.) formuliert ist.
Auch die Analyse eines in einer Molekül-Grammatik formulierten Satzes ist sehr einfach,
liegt auf Taschenrechner-Niveau und ist für Wortschatz-Computer u.Ä. eine Kleinigkeit.
Der Analyse-Algorithmus für Sätze ist einfach, wenn sich die verwendete Grammatik einfach formal beschreiben läßt:
Einfache formale Beschreibung
Ist nicht nur für den Analyse-Algorithmus vorteilhaft, sondern auch für das menschliche Verständnis der Grammatik.
Statische Beschreibungen (z.B. Molekül-Grammatik) sind meist einfacher zu verstehen als dynamische (z.B. generative Grammatik),
bei denen ein Satz in vielen Schritten zusammengesetzt wird.
Es gibt eine Reihe abstrakt-logischer Beschreibungsmöglichkeiten für Programmiersprachen, die sich auch für menschliche
Sprachen eignen: z.B. verschiedene Arten von generativen Grammatiken (mit unterschiedlicher Leistungsfähigkeit), abstrakte Automaten,
Programme.
Die Grammatiken der natürlichen Sprachen lassen sich damit wegen ihrer Komplexität nur bruchstückhaft darstellen,
aber eine einfache künstliche Grammatik ist kurz und vollständig darstellbar (außer den Beziehungen
zu anderen Sätzen), z.B. als kontextunabhängige Grammatik.
Optische Darstellung der Satzstruktur
Es ist didaktisch sehr günstig, wenn sich die Satzstruktur
optisch einfach darstellen läßt.
Man unterscheidet:
- Einfachheit der Darstellung
- einfache Gewinnung der Darstellung
Beides ist bei der Molekül-Grammatik sehr gut. Eine Sonderstellung nimmt die
Lautbildschrift ein:
Die Beziehungen der Dinge untereinander sind einmal durch die räumliche Anordnung leicht erkennbar
(mehrere Bildspalten nebeneinander), weil das aber nicht immer ausreicht, auch durch Partikel.
Unterstützung der Grammatik durch die Phonetik
- Leichteres Erlernen der Wortart: Fazit
Eine akustisch gut entworfene künstliche Sprache wirkt akustisch natürlicher
als die sogenannten natürlichen Sprachen. Genauso wirkt eine gut
entworfene, einfache Grammatik natürlicher als die unnötig
komplizierten Grammatiken der meisten "natürlichen" Sprachen,
und ist leichter zu lernen und anzuwenden.
Wenn alle Worte eine typische Endung haben, welche die Wortart angibt
(Esperanto: Substantiv ..o Adjektiv ..a Verb ..i),
muß man deren Wortart nicht extra mitlernen. Und man erkennt die Wortart
unbekannter Wörter und damit die Satzstruktur und kann deshalb u.U. leichter einen Text erraten.
Ansonsten könnte z.B. unklar sein, ob der Begriff "Regen" als Substantiv
oder Verb zu gebrauchen ist. Besonders wichtig wäre es, Verben ohne und
mit direktem Objekt mittels Endung zu unterscheiden in Grammatiken, bei
denen letztere immer ein Objekt haben müssen (z.B. bei der
Molekül-Grammatik,
wo jedes Wort immer eine feste Anzahl Bindungen haben muß).
Denn sonst muß dem Gedächtnis eingeprägt werden, ob z.B. "regnen" (auf etwas) oder "singen"
(ein Lied) mit oder ohne Objekt zu gebrauchen ist.
- Grammatisch erlaubt = leicht sprechbar :
Grammatisch erlaubte Konstruktionen sollten leicht sprechbar sein,
grammatisch verbotene Konstruktionen schwer sprechbar. Beispiel:
Substantive enden auf ..o, Adjektive auf ..a, Verben auf ..i, Mehrzahlpartikel = i "einige".
Dann ist die Folge "Substantiv + einige" (..o i) und die Folge "Substantiv + Adjektiv + einige"
(..o ..a i) leicht sprechbar, die Partikel i wird in einem Zug mit einem End-o oder End-a
gesprochen (aber nicht als Diphtong). Dagegen ist die unerlaubte Folge "Verb + einige" (..i i)
schwerer sprechbar, nur mit Absatz zwischen den i's.
Diese verbotene Wortfolge fällt auch durch gleiche Tonhöhe der Wortendungen auf, während alle erlaubten Folgen
von Substantiv, Adjektiv, Mehrzahlpartikel eine steigende Tonfolge ergeben.
Die Benutzung der hier beschriebenen Techniken ist frei Stand: 24. 8. 2010
Autor: Leonhard Heinzmann Homepage