Griechische Schrift als Behelfs-Lautbildschrift

Wir zeigen in diesem Artikel:

- Die griechischen Buchstaben sind für eine Lautbildschrift kaum geeignet
- Bessere Ideogramme sind möglich durch Senkrechtschreiben und Drehen mancher Buchstaben
- Die griechischen Buchstaben spielten eine Rolle bei der Bildung mancher Worte


Das altgriechische Alphabet wurde ca. 875 v.C. aus dem phönizischen Konsonanten-ABC abgeleitet, wobei manche Lautwerte geändert wurden und die Buchstaben für Vokale neu hinzukamen. Es gab zeitlich und regional unterschiedliche Versionen. Das Alphabet der Stadt Milet in Kleinasien wurde 402 v.C. offiziell in Athen eingeführt und ist noch heute gültig. Die 24 Buchstaben hatten keine Zacken (Serifa). Die Kleinbuchstaben entwickelten sich erst ab 900 n.C.   Hier die Großbuchstaben (grün die Lautwerte):

Α Β Γ Δ E Z H Θ I K Λ M N Ξ O Π P Σ T Y Φ X Ψ Ω

a   b  g  d  e  ts ä   th  i  k  l   m  n   x   o   p  r   s   t  y  ph kh ps O


Für den Laien verwirrend:   3 Buchstaben haben andere Lautwerte als im Latein:
  H = ä (heute i),   P = r,   X = kh (behauchtes k , heute wie deutsches ch)





Die griechischen Buchstaben sind für eine Lautbildschrift kaum geeignet

Zwar lassen sich damit einige Ideogramme in der Qualität von Smileys bilden, z.B.:


OEi
OΘOΘOKette
OIOBrille
Sonne
OΨOFahrrad
IStrich
IΠITempel


Doch die meisten Buchstaben sind zu unzweckmäßig geformt und zu kompliziert, um beliebige Formen darstellen zu können. Die Kleinbuchstaben taugen vermutlich noch weniger für eine Lautbildschrift als die Großbuchstaben: Wegen ihrer Schnörkel lassen sie sich kaum zu geschlossenen Formen zusammensetzen.





Verbesserungsmöglichkeiten

Für eine Lautbildschrift ist eine senkrechte Schreibrichtung besser, wie im Artikel Lautbildschrift: Häufige Fragen gezeigt wird. Denn die meisten Dinge (Gesichter, Menschen, Bäume, Häuser) haben eine senkrechte Symmetrieachse. Man kann diese Dinge gut abbilden durch eine senkrechte Reihe einfacher, seitensymmetrischer Zeichen. Um mit den griechischen Buchstaben bessere Ideogramme darstellen zu können, muß man also 2 Dinge tun:

- senkrecht schreiben
- seitlich asymmetrische Buchstaben seitensymmetrisch machen durch Verdrehen

Dieses Verdrehen einzelner Zeichen geschieht am besten analog zum Verdrehen der Schreibrichtung. Das heißt, dreht man die "griechische" Schreibrichtung um 90 Grad nach links (man schreibt dann senkrecht nach oben), so sollte man seitlich asymmetrische Zeichen, z.B. "E", auch um 90 Grad nach links drehen (die Strichenden zeigen dann nach oben). Bei Drehen der Schreibrichtung um 90 Grad nach rechts (man schreibt dann senkrecht nach unten) sollte man z.B. das "E" entsprechend verdrehen (die Strichenden zeigen dann nach unten).
Das Σ sollte man aber immer nach links drehen (nie nach rechts), weil es sonst wie ein M aussieht - mit 2 verschiedenen Zeichen hat man auch mehr grafische Möglichkeiten. Diese könnte man noch verbessern, wenn man einen der 3 Buchstaben, die eine Spitze nach oben bilden, nämlich A, Δ, Λ, nach unten kippen würde. Welchen? Können die Buchstabennamen Hinweise geben? Die Buchstabennamen AΛΦA (Alpha) = A und ΔEΛTA (Delta) = Δ haben je 3 Spitzen nach oben, ΛAMBΔA (Lambda) = Λ hat 4 sowie 2 im M.

Die Buchstaben Γ, Z, N, P sind weder normal noch gedreht seitensymetrisch. Drehen bringt nichts. Aber Γ und P platziert man so, daß der senkrechte Strich in der Wortmitte ist.   Folgende Beispiele (Schreibrichtung aufwärts) zeigen, daß so bessere Wortbilder möglich sind:


v.l.n.rv.u.n.o.Bedeutung
OIFrucht
ΨΘBlume
ΨΛThuja
ΨIKandelaberkaktus
Palme
IMOMeise
ΘIΩGesicht
ΘΔΩGesicht
ΞΛΩGesicht
HMOMensch
ΞΛInsel
Spitze



Neben optischen Mängeln hat man bei den griechischen Buchstaben folgendes Problem: Konsonantenhäufungen wie ΘΔ und manche Vokalhäufungen sind unsprechbar, man müßte wie bei der echten Lautbildschrift einen Leervokal und einen Leerkonsonanten einführen.





Griechische Schrift und Wortbildung

Die griechischen Buchstaben beeinflußten die Bildung mancher Worte in der Antike, und beeinflussen noch heute die Bildung mancher moderner Begriffe. Das Schreiben ergibt meist v.u.n.o., manchmal v.o.n.u, manchmal in beiden Richtungen ein sinnvolles Ideogramm. Es sind folgende 3 Zusammenhänge erkennbar:


1) Der Anfangsbuchstabe des Wortes ähnelt optisch dem Gegenstand:
So bei griech. OPOBOΣ (Kichererbse), OΠΩPA (Obst), OΛYNΘOΣ (Winterfeige), OMΦAΞ (unreife Traube), OΣXOΣ (Weinranke mit Trauben), OINOΣ (Wein), OΠH (Loch), OBOΛOΣ (Münze), ONOΣ (Mühlstein, Winde), OΛMOΣ (Walze, Mörser), OΣTRAKON (Topf), OΓKOΣ (Gewicht), OMΦAΛOΣ (Nabel, Schildbuckel, Knopf), OΞOΣ (Wagen), OΦΘAΛMOΣ (Auge; 2. und 3. Buchstabe = Augen mit Pupille), OMMA (Auge), OΣΣE (Augen, poetisch), OPΩPH (Sehen), OYΣ (Ohr, Öhr, Henkel), OMBPOΣ (Platzregen)
Eine ähnliche Symbolik gibt es auch bei anderen Buchstaben, z.B. ΦΘO-IΣ (runde Kuchenart, beginnt mit 3 runden Buchstaben), ΘOΛOΣ (Rundbau), ΘAIPOΣ (Türangel)
Auch der griechische Buchstabe   Π   (Pi) wurde wohl nicht zufällig für die Kreiszahl ~ 3,14 gewählt, die 3 Striche repräsentieren etwa die Zahl 3. Auch die lateinischen Buchstaben PI ergeben übereinandergesetzt ein sinniges Bild, einen Halbkreis und das Mehrfache seines Radius


2) Einige Anfangsbuchstaben des Wortes, z.B. der Wortstamm, ergeben in obiger "Griechisch-Bildschrift" (senkrechtes Schreiben, manche Buchstaben gedreht) ein Bild des Objekts:


v.l.n.rv.u.n.o.Bedeutung
BI-OΣBogen (Waffe)

Reflexbogen mit Sehne, Pfeil
ΞIΦIΔ-IONangeblich "kleines Schwert"

vielleicht eher Rundschild + Speer der Leichtbewaffneten
OΠ-HLoch, Luke
IΔA OPEAIda - Berge

Nadelwald-Gebirge in Griechenland
ΞYΛ-ONBaum, Holz

Ξ als Bretter / Stangen denkbar
YΛHWald, Gebüsch

H als Pluralzeichen denkbar
ΦYΛΛA-ΣBlätterhaufen, Ast, Hain
ΛAA-ΣKlippe, Fels
ΠAΛΛ-EINschütteln, beben
ANΘ-PΩΠOΣMensch

menschliche Gestalt
ANΘPΩ-ΠOΣMensch

menschliche Gestalt,
Gesicht erkennbar
ΠOMΠO-ΣGeleiter(in),
bes. bei Festzug

2 Menschen in Reihe
ΛAΩΔ-HΣvolksmäßig (aussehend)

bäuerlicher Mensch
ΛAO-ΣVolk

menschliche Gestalt
ΔHMO-ΣGebiet, Volk

menschliche Gestalt,
Δ symbolisiert Erdscholle / Gebirge
OΛIΣΘ-HMAFall, Gleiten

balancierender Mensch
mit erhobenen Armen
auf Stein / Baumstamm
ΦYΣIΩΣ-IΣStolz

stolzes Gesicht mit Halskette
und Kranz auf Kopf
IΔI-OΣeigen, privat
IΔIΩ-THΣEinzelner
ΔEΛΦI-NDelphin

Kopf mit schmaler Schnauze

bei Schreibung nach unten:
schlechteres Bild
XEΛIΔ-ΩNSchwalbe

typisch:   Gabelschwanz und
kurzer, breiter Schnabel / Kopf
untypisch:   Hals zu lang

bei Schreibung nach unten:
halslos, Schnabel weit offen
OΛO-ΛYΓONOΛOKäuzchen

waagrechte Schreibung !
Kopf mit großen Augen + Schnabel
(wirkt von oben betrachtet besser)
TEMΠ-ΛONTEMΠTempel

waagrechte Schreibung !
ähnelt Säulentempel,
li. Vordach, re. innerste Kammer



3) Das ganze Wort stellt in "Griechisch-Bildschrift" den Gegenstand optisch dar. Beispiele:


v.l.n.rv.u.n.o.Bedeutung
AIΩNLebenszeit, Lebenslos, Ewigkeit
ΠAIΩNArzt, Helfer
ΠΛATΩNPlaton

(T umgedreht)   Kunstname,
Platon hieß vorher Aristokles

bekränzt, untere 2 Zeichen = Akademie-Gebäude
ΠΛOYTΩNPluton   (Gott der Unterwelt)

(T umgedreht)

untere 3 Zeichen = Mensch
ΔΩTΩDoto

eine Nereide (Meergöttin),
repräsentiert dieSchönheit
des Meeres, Wellen, Grotten
ΔΩΔΩNHDodona

griech. Ort mit dem Zeus geweihten Eichenhain, dessen Rauschen als Orakel diente


Wortbild zeigt "Gottvater" Zeus mit Dreieck auf Kopf, gleichzeitig knorriger Eichenstamm
DEYKALIΩNDeukalion

mythische Gestalt, überlebte mit
seiner Frau die Sintflut, erzeugte
aus Knochen das neue
Menschengeschlecht
KΛEITΩNKleiton
(Bildhauer aus Athen)

Symbolbild, darin erkennbar:
Felsblock, Meißel, Hammer,
unvollendetes Gesicht
(untere 3 Zeichen)
EIΔΩΛO-NSchattenbild, Trugbild,
Bild, Götzenbild

oben scheinende Sonne;
lt. Plinius entstand die Malerei
durch Umritzen von Schatten
MEΛOΣLied

sitzender Sänger mit Harfe,
darüber Lied
MEΛΩΔOΣSänger

unten sein Gesicht,
oben seine Gestalt
(ähnelt Singvogel)
BΩTΩPHirt

Gesicht über Tierkopf
P = Hirtenstab
OΠΛITHΣSchwerbewaffneter

Gestalt (oben) mit Schwert +
abgelegtem Brustpanzer (unten)
ΦYΞANOPIAFlucht vor den Männern
(poet. Wortbildung1)

flüchtende Gestalt über Weg,
Pfeil oben symbolisiert
schnelle Bewegung
ΔIAdurch, hindurch



Im Unterschied zur Lateinbildschrift scheint bei der Griechisch-Bildschrift die Schreibrichtung nach oben bevorzugt zu sein (vor der nach unten). Auch lassen sich Gesichter, sogar recht detaillierte, darstellen dank des Buchstabens Ω
Es lohnt sich, die griechischen Buchstabennamen näher anzuschauen. Hierzu ist eine eigener Artikel fällig.
Die Frage, wie alt die Worte sind und wer die Worte bildete, wird im Artikel Lateinbildschrift ausführlich diskutiert.




Quellen:
1) Gemoll, Wilhelm: Griechisch - Deutsches Schul- und Handwörterbuch, 9. Auflage
   G. Freytag Verlag, München 1965
2) Langenscheidt: Taschenwörterbuch Altgriechisch-Deutsch, Deutsch-Altgriechisch
   1. Auflage 1986


Stand:  19. 7. 2013