Punkte - Gesichter: banal oder tiefsinnig?
Wir untersuchen in diesem Artikel:
- Welches ist die minimale Anzahl Punkte, mit der man ein Gesicht darstellen kann?
- Wieviele Gesichter kann man mit einer bestimmten Anzahl Punkte darstellen (evtl. verschachtelt)?
- Mit welchen Punkte-Gesichtern kann man die Ebene oder den Raum parkettieren?
- Sind Punkte-Gesichter ein Modell für psychische Tatsachen?
- Sind Punkte-Gesichter ein Modell für religiöse Tatsachen?
- Sind Punkte-Gesichter mathematisch interessant?
Minimalgesicht: 3 Punkte
Obige 3 Punkte sind leicht als Gesicht erkennbar.
Den unteren Punkt könnte man als Mund oder Schnauzenspitze interpretieren.
Weniger als 3 Punkte tun es nicht, allenfalls kann man, wenn man den unteren Punkt verdeckt, ein Augenpaar erkennen.
Obiges Gesicht ist das regelmäßigste, prototypischste mit 3 Punkten.
Denn alle Punkte haben gleichen Abstand voneinander, d.h. sie bilden ein gleichseitiges Dreieck.
Der ideale Punkteabstand ist unklar, im Bild sind es 3 Punktedurchmesser.
Man kann das Gesicht aus 3 Richtungen (rot) betrachten und sieht jedesmal ein identisches Gesicht.
Dargestellt sind also der Form nach 1, aber zahlenmäßig 3 Gesichter, bzw. 1 rotierendes Gesicht:
Man kann das als Banalität ansehen, aber auch als Modell der christlichen Dreifaltigkeit:
Diese besteht nämlich gemäß der christlichen Lehre aus 3 Personen derselben Substanz.
Im Punkte-Gesicht entspräche das den 3 Gesichtern (aus den 3 Blickrichtungen),
die alle aus denselben Punkten bestehen.
Tatsächlich haben Mystiker wie Dante "Gott" so gesehen: In seiner "Göttlichen Komödie"
berichtet er, wie er nach seinem visionären Aufstieg in den obersten Himmel, wo keine Zeit existiert und
wo er zunächst nur ein gleichmäßiges "lebendiges Licht" wahrnimmt, dann 3 Kreise sieht:
"Und in der tiefen strahlenden Substanz des hehren Lichts sah ich drei Kreise stehen, Dreifach an Farbe, gleich an Größe ganz, Ein Kreis den andern spiegelnd, wie wir sehen, Iris um Iris, und der dritte Ring schien Feuer und den andren zu entwehen. O gegen mein Anschaun welch ärmlich Ding Mein Wort!" [Kap.33, Vers 115 ff.]
Der tiefere Sinn der Ringe, die sich gegenseitig spiegeln, dürfte sein, daß aus ihnen die Schöpfung entsteht,
gemäß dem bereits in der Antike bekannten Denkmodell, daß die Schöpfung ähnlich entsteht,
wie sich auf dem Wasser konzentrische Kreise um verschiedene Stellen ausbreiten,
sich überlagern und immer kompliziertere Muster bilden (Blume des Lebens, Vesica- oder Fischblasenmuster).
Das 3-Punkte Gesicht ist hierfür nur ein einfaches Ideogramm und
wie jedes Wort banal im Vergleich zur Realität.
Obiges Punktmuster und die folgenden, die quasi Gesichter enthalten, die in verschiedene Richtungen blicken,
erinnern auch an die Bildsäulen mit mehreren Gesichtern, die es in manchen Religionen gibt, z.B. im Buddhismus.
Auch im Tempel der Jaromarsburg auf Rügen, einer vorchristlichen slawischen Ringwallanlage (12. Jhdt)
gab es laut Bericht des dänischen Historikers Saxo Grammaticus (12. Jhdt) ein Götzenbild mit 4 Gesichtern,
die in 4 Richtungen blickten.
Ist das Punktegesicht auch ein Modell der menschlichen Psyche?
Sind Teile meiner Psyche auch Teil der Psyche mancher Mitmenschen?
In einem christlich-religiösen Buch las ich den Satz: "Wer sich ändert, ändert Tausende".
Nach Ansicht von manchen Buddhisten z.B. stammt ein Großteil der Seelenregungen des Menschen aus der ihn umgebenden Natur,
aber teilweise auch von seinen Mitmenschen.
(Das wirft beklemmende Fragen auf: woher stammen die Seelenregungen eines Menschen, der in Großstädten lebt,
oder der ständigen Umgang mit elektrischen Geräten hat?)
3+1 Punkte
Dreieck mit Mittelpunkt: 3 Punkte liegen auf den Ecken eines (gedachten)
gleichseitigen Dreiecks und 1 Punkt in der Mitte. Man kann das Gesicht aus 3 Richtungen (rot)
betrachten und sieht jedesmal ein identisches Gesicht.
Dargestellt sind also der Form nach 1, aber zahlenmäßig 3 Gesichter, bzw. ein rotierendes Gesicht:
Zusätzlich erkennt man (wie in den Gesichtern weiter unten) noch 3-Punkte Gesichter,
hier 3 an der Zahl, die aber nicht "gleichseitig" sind.
4 Punkte, 4+1 Punkte
Hier gibt es (wie beim Dreieck) 2 prototypische Arten von Figuren mit Gesichtern,
nämlich ein regelmäßiges Vieleck ohne und mit Mittelpunkt:
Quadrat ohne Mittelpunkt: Alle Punkte liegen auf den Ecken eines (gedachten) Quadrats.
Es gibt 4 Sichtachsen, die jeweils auf einen Punkt zulaufen (Bild rechts)
und entsprechend 4 identische Gesichter (mit Punkt auf Stirn):
Quadrat mit Mittelpunkt: 4 Punkte liegen auf den Ecken eines (gedachten)
Quadrats und 1 Punkt in der Mitte. Es gibt 4 Sichtachsen, die jeweils auf die Mitte
zwischen 2 äußeren Punkten zulaufen (Bild rechts) und entsprechend 4 identische Gesichter
(mit krausem Bart?):
6+1 Punkte
Im 6-Punkte Gesicht kann man nur notdürftig menschliche Gesichter erkennen,
wir beschränken uns deshalb auf das 6+1-Punkte Gesicht:
Sechseck mit Mittelpunkt: 6 Punkte liegen auf den Ecken eines (gedachten)
Sechsecks und 1 Punkt in der Mitte. Das Gesicht ist schwer erkennbar:
Augen oben, Mittelpunkt = Nase, restliche Punkte = krauser Bart?
Man kann das Gesicht aus 6 Richtungen (rot) betrachten und sieht jedesmal ein identisches Gesicht.
Dargestellt sind also der Form nach 1, aber zahlenmäßig 6 Gesichter:
Dreht man das Punktmuster um 60 Grad, kann man ein weiteres Gesicht erkennen:
Es ist wieder schwer erkennbar, von oben nach unten: Punkt auf Stirn, Augen, Nase, Jochbeine, Mund.
Man kann das Gesicht wieder aus 6 Richtungen (rot) betrachten und sieht jedesmal wieder ein identisches Gesicht:
Bilder unten, v.l.n.r.: Zusätzlich erkennt man im Sechseckmuster noch 6 "gleichseitige" 3-Punkte Gesichter, die man
jeweils aus 3 Richtungen betrachten kann, also eigentlich 18 Gesichter.
(Man hat also rotierende 3-Punkt Gesichter im rotierenden 6+1 Punkte Gesicht, linkes Bild).
Auch erkennt man sechs 3+1-Punkte Gesichter (2. Bild), sowie sechs 4+1 Punkte-Gesichter (schmal, 3. Bild)
und sechs 4+1 Punkte-Gesichter (breit, rechtes Bild) - die 2 letzteren sind aber nicht "gleichseitig".
Man erkennt also in obigem 6+1 Punktmuster mindestens 6 seitensymmetrische Gesichtstypen
in zusammen 48 Exemplaren, sowie auch asymmetrische Gesichter.
Mit 4 oder mehr Punkten lassen sich natürlich noch mehr Gesichter darstellen als die obigen,
auf einem regelmäßigen Vieleck beruhenden. Beispiele:
10 Punkte
Pyramide aus 4+3+2+1 Punkten: Dies ist die von Pythagoras so genannte
"heilige Tetraktys" (altgriech. Vorsilbe tetra = vier), hilfsweise mit "Vierzahl" übersetzt.
(Ihre Summe ergibt 10, die vierte Dreieckszahl).
Sie galt ihm als Basis des Universums. Weshalb, weiß man nicht, da der von ihm gegründete
Mysterienbund sein Wissen geheimhielt. Da aber Phythagoras die Zahl für die Basis der Schöpfung hielt,
dürfte die Tetraktys tiefgreifende zahlentheoretische Erkenntnisse enthalten.
Ob die Punktabstände der Tetraktys (linkes Bild) festgelegt waren, ist unklar. Bei gleichmäßigem Abstand
jedes Punktes zu den Nachbarpunkten erkennt man darin obiges 6+1-Punkte Gesicht (zweites Bild),
das ja weitere Gesichter enthält. Die Ecken der Pyramide bilden sowohl 4-Punkte Gesichter
(allerdings nicht quadratisch; drittes Bild) als auch drei 3-Punkte Gesichter (rechtes Bild).
Die ganze Tetraktys enthält 6 (teils überlappende) 3-Punkte Gesichter, die aus je 3 Richtungen
betrachtet werden können, also 6*3 solche Gesichter, und noch viele andere.
(Diese Anzahl kann man leicht verifizieren, wenn man die auf der Spitze stehende Tetraktys betrachtet
- jeder Punkt außer denen in der obersten Reihe ist der "Mund" eines 3-Punkte-Gesichts.
Jede Dreieckzahl-Figur enthält also soviele 3-Punkte-Gesichter (mal 3) wie die
nächstkleinere Dreieckzahl Punkte hat.)
Interessant ist die Frage: Wenn man den "Mund" jedes Gesichts einfärbt, und die Gesichter
beliebig verdreht, so daß sich manche "Münder" überlappen, wieviele Münder sieht man
dann maximal / minimal?
Die Tetraktys ist die kleinste Dreiecksfigur mit Mittelpunkt (linkes Bild oben).
Diese Darstellung erinnert auch an die christliche Darstellung Gottes als Auge in einem Dreieck.
Sie enthält einen Rand + Mittelpunkt, bzw. 3 nicht überlappende 3-Punkte Gesichter
(die 3 Ecken) und den Mittelpunkt.
Man könnte die 3-Punkte-Gesichter mit einer
Stelle im 3er-Zahlensystem gleichsetzen, ihre Verdrehungen mit dem Ziffernwert.
Größere Zahlen erfordern dann größere Punkte-Dreiecke.
Die Dreieckszahl "6" (rechtes Bild oben) dagegen hat keinen Mittelpunkt und nur 3 überlappende
3-Punkte-Gesichter (aus je 3 Richtungen betrachtbar).
Der bildhafte Aspekt dürfte Phythagoras nicht entgangen sein (s.u. den Link zu Platon),
er war wohl eher erwünscht bzw. beabsichtigt - das 6+1-Punkte Gesicht könnte man z.B. als "Sonnengott" auffassen.
Die Tetraktys erinnert auch an eine Weintraube, das Symbol des Gottes Dionysos.
(Vor der Einwanderung der Griechen aus nördlicheren Gebieten war das eine - nicht essbare -
Fruchttraube des Efeu).
Parkettierung
Unter Parkettierung versteht man in der Mathematik das lückenlose Auffüllen einer unbegrenzten
Ebene mit flächigen Formen. Das ist nur mit bestimmten Formen möglich, z.B.
Quadrat, verschiedene Rechtecke, Dreiecke, Sechsecke, aber auch kompliziertere Formen.
Bei Punktegesichtern wird man den Begriff so definieren, daß die Ebene mit einem
Punktegesicht so gefüllt wird, daß man dieses auch überlappend erkennen kann.
Das folgende Parkett (rechts vom Pfeil) entsteht durch überlappende Verschiebung des 3-Punkte Gesichts
oder des 3+1 Gesichts (leicht verdreht) oder des 6+1 Gesichts oder der Tetraktys.
Es enthält deshalb alle diese Figuren (ganz rechts):
Das folgende Parkett (rechts vom Pfeil) entsteht durch überlappende Verschiebung des 4-Punkte Gesichts
oder des 4+1-Punkte Gesichts:
Man kann im letzteren Parkett auch 3-Punkte Gesichter erkennen (wie in den erzeugenden 4-Punkte Gesichtern),
deren Punkte aber kein gleichseitiges Dreieck bilden.
Ähnliche Themen
Zur Weltentstehung siehe den Artikel Nirvana - ein anderes Wort für Heiliger Geist
Die meisten obigen Punkte-Gesichter sind darstellbar mit einer
Punkte-Lautbildschrift,
d.h. einer Lautbildschrift,
die nur Punktmuster als Schriftzeichen enthält.
Siehe auch die eincodierten Punkte-Bilder bei Platon
Zur Tetraktys siehe den Artikel Figurenrechnen
Autor: Leonhard Heinzmann Stand: 5. 3. 2014 Homepage